Kochi, Kerala, Indien

Kerala war ganz anders. Anders als ich es erwartet hatte, anders als Asien und anders als das restliche Indien.

Kali Darsteller bei der Probe

Natürlich war die Stadt laut und wuselig und der Straßenverkehr unbeschreiblich, aber längst nicht in dem Maße, mit dem ich gerechnet hatte. Sogar Tuck Tuck fahren hat eher Spass als Angst gemacht – mir zumindest – und die allermeisten Menschen waren ausgesprochen freundlich und hilfsbereit zu uns. Nur ganz selten hat man mal vorsichtig versucht uns Weiße zu betuppen…

Alle im kleinen Tuck-Tuck

Im Stadtbild sieht man die meisten Menschen traditionell bekleidet. Viele Männer in den langen Tuchröcken, die bei Bedarf geschürtzt werden und dann so aussehen wie eine übergroße Windel. Betritt Mann einen Laden, oder trifft eine Respektsperson, wird der Knoten mit einem Griff gelöst und der Rock ist wieder knöchellang und durchaus chick – nicht unpraktisch.

Sozius im Damensitz, Sari, Baby auf dem Schoß, aber mit Helm!

Die Damen bringen die Farben und die Vielfalt. Ich hätte Stunden damit zubringen können, die verschiedensten Saris und Kleider zu bestaunen. Muslimas mit Kopftuch, Hindus und Christinnen ohne, aber immer wunderbar bunt! Wer sich nicht in den sechs Meter langen Sari hüllen will, trägt Wadenlange Kleider und Dekoschal mit Hosen drunter, Salwar heißt diese Kombination.

Je westlicher die Umgebung, in Restaurants und Malls zum Beispiel, desto mehr Frauen in Jeans und T-shirt. Etwas unausgegoren wirkt das typische Kleid mit Jeans drunter, aber die Übergänge sind eben fließend.

Eine der vielen Hochzeiten im Resort vor der Marina

Ich würde mir wünschen, das die bunten Stoffe und Kleider nicht verschwinden, weil es so schön aussieht, aber ich verstehe natürlich, dass es total unpraktisch zu tragen ist und ausserdem viel zu warm für das Klima, wie mir einige Damen versichert haben.

Wir fallen auf jeden Fall überall auf wie die Giraffen in der Zebraherde! JaJapami und Mollie, unser neuseeländischer Nachbar, werden, als einzige Segler in der Marina, jeden Tag mehrfach von Touris in kleinen Booten gefilmt. „Eni ningalku Kanaam valadu vasathu… („Hier sehen Sie…“ auf Malayalam, der Landessprache) Amerikan (die NZ Flagge ist ja irgendwie ähnlich 😉 …blabla German Familie… window…bedroom…“ hören wir immer wieder, während wir freundlich Winken.

In der Stadt kommen die Leute auf uns zu und wollen JD und den Jungs die Hand schütteln. Mir nicht, das gehört sich nicht. Aber ich bin auf unzähligen Selfies mit drauf, genau wie meine Jungs!

Diese Gruppe war besonders nett und enthusiastisch und der Größenunterschied besonders auffällig, daher habe ich mal zurück geknipst.

Die Provinz Kerala ist kommunistisch regiert und das scheint hier sehr gut zu funktionieren. Man sieht wenig Armut in den Straßen und alles wirkt recht gepflegt. Arztbesuche sind unglaublich günstig, da das Grundgehalt der Ärzte vom Staat kommt. Wir nutzen das gründlich: Augenarzt für drei und sieben! neue Brillen für unterm Strich 170 Euro. Auch unsere Zähne sind wieder gut in Schuss und strahlend weiß.

Man vergißt gerne, wir schwierig solche Routinesachen wie Zahnarzt für uns sind. In jedem neuen Land, an neuen Orten, muß man sich erst einmal orientieren. Dann sind Einkaufen und Schiffsreparaturen natürlich immer wichtiger und bevor man überhaupt einen Termin vereinbaren konnte, läuft schon wieder das Visum aus und wir müssen weiter.

In Kochi haben wir nicht nur das geschafft, sondern noch viel, viel mehr! So hatten wir zum Beispiel immer gehofft, neue Deckskissen machen lassen zu können, waren aber nicht sicher ob das passende Material erhältlich ist.

Den wasserdurchlässigen outdoor Schaumstoff gab es leider nicht, dafür aber Bezugsstoffe in bester Qualität. Die von der Sonne pulverisierten Kissen auf dem Oberdeck konnten wir nur noch wegschmeißen, aber mit ein bisschen Puzzelei, ist jetzt im geschützten Cockpit, neuer „normaler“ Schaumstoff und oben, in neuen Hüllen, der noch guterhaltene, wasserdurchlässige Schaum von den unteren Cockpitkissen. Der Effekt ist genial! Die Pami sieht wieder todchick und fast wie neu aus!

Extrem wichtig war mittlerweile auch ein Segelmacher geworden. Beide großen Leichtwindsegel waren im letzten halben Jahr gerissen und es war klar, dass wir diese für unsere letzte große Ozeanpassage durch den Indischen Ozean dringend brauchen würden.

Nun ist eine Seglerscene in Indien nur äußerst rudimentär vorhanden. Es gibt nur diese eine einzige Marina im ganzen Land und keinerlei Serviceangebote speziell für Segler in der näheren Umgebung. Dennoch hat JD nach ausführlicher Recherche, einen renommierten Segelmacher in Mumbai ausfindig machen können, dem wir unsere Segel zuschicken konnten.

Vernünftigerweise hat dieser gebeten, vor dem Verschicken, alles Salz abzuwaschen. Das war keine kleine Aktion! Der Wingaker hat 180 und der Gennaker 150 Quadratmeter. Die muss man erst mal irgendwo ausbreiten können und dann auch noch einen Wasseranschluss in der Nähe haben! Am Ende hat alles gut geklappt und beide Segel sind sauber, repariert und wieder einsatzfähig. Super!

Boote ohne Segel gibt es natürlich in der Wasserlandschaft von Kerala zur genüge. So war das Organisieren des Außenborderservice nicht weiter schwierig. Plexiglasarbeiten haben wir auch erledigt bekommen und ein Team Taucher hat in den letzten Tagen unseren Rumpf nochmal gründlich gereinigt. Alles zu sehr fairen Preisen. Perfekt.

Eine weitere, sehr nette Geschichte ist, wie wir zu dem Reiseproviant Pulled Pork kamen:

JD und ich fahren mit dem Taxi zu einem Supermarkt, der westliche Produkte wie Würstchen und Käse haben soll, und den JD im Internet gefunden hat. Leider ist das Gelände verwildert und der Markt offensichtlich schon länger geschlossen als wir dort ankommen. Unser Fahrer versteht nur so ungefähr, was wir eigentlich suchen und bringt uns zu einer Adresse in schicker Wohngegend, die eindeutig nach Privathaus und nicht nach Supermarkt aussieht. Unbeirrt klingelt er an der Tür und nach kurzem Palaver werden wir hereingewinkt.

Nur Minuten später finden wir uns, aufs Sofa komplimentiert und mit Getränken versorgt, der überraschten und neugierigen Familie gegenüber. Es dauert ein lustiges Weilchen, bis allen klar ist warum wir hier sitzen. Der dritte Sohn, der gerade einen Catering Service mit gegrilltem Fleisch eröffnet hat, schläft noch und seine Internetseite hat uns hergeführt. Während er geholt wird, müssen wir Mum, zwei Söhnen und der Schwiegertochter unsere Geschichte erzählen. Erst bekommen wir Kekse, später, nach vielen Fotos und Geschichten, noch frisch zubereitete lokale Spezialitäten. Und Mum ist so aufgeregt und möchte so viel gerne wissen, dass es ganz rührend ist. Am Ende muss sie uns beide mal ganz feste in die Arme schließen und natürlich kommt sie mit, als das Ehepaar uns, ein paar Tage später, das schließlich bestellte Pulled Pork liefert.

Die Drei waren noch nie auf einer Yacht und trotz Rückenleiden, werden sowohl die Rümpfe als auch das Oberdeck gründlich inspiziert. Mum ist begeistert über unser schwimmendes Haus!

Wir vergessen gerne, das dieses, uns so selbstverständliches Leben auf dem Wasser, für andere höchst ungewöhnlich ist. Und mal ganz ehrlich, nur unter uns, wer hört nicht gerne, dass er ein außergewöhnliches Leben führt? Es war also eine rund um nette Begegnung, aus der auch noch drei wunderbare Mahlzeiten auf See resultierten!

Sehr zeitaufwendig war diesmal die Crewsuche! Wer segeln will ist eher nicht in Indien unterwegs und eine Passage mit dräuenden, somalischen Piraten und angriffslustigen Huthis ist auch nicht jedermanns Sache. Wir haben also wirklich lange gebangt, ob wir überhaupt jemand finden oder das alleine durchziehen müssen. Natürlich wäre das möglich, aber sehr anstrengend und auf Kosten der Jungs, denn wir würden nur Wache halten, schlafen, kochen und essen. Für unsere letzte große Passage würden wir uns wirklich etwas anderes wünschen!

Schließlich finden wir Tomas, ein Tscheche der in Taiwan lebt. Gerettet!, aber zu dritt noch nicht optimal. Ich suche und suche weiter… und dann tauchen Amrutha und Sreenath auf und passen wie der Deckel auf den Topf! Die beiden leben in Kochi und suchen schon lange nach einer Möglichkeit auf einer Yacht mitzusegeln. Sie wären für so eine Gelegenheit bis Europa geflogen und nun finden sie uns plötzlich vor ihrer Haustür! What a coincidence! Und wir haben plötzlich nicht nur drei Crewmitglieder mit Segelschein, sondern mit Sreenath auch noch einen angehenden Frachterkapitän, der als erster Offizier schon mehrmals durchs Rote Meer gefahren ist. Besser geht’s eigentlich kaum. Und davon wie praktisch es ist, in Indien indische Crew zu haben, will ich gar nicht erst anfangen…!

Während wir vier schon mal Proviant einkaufen, erleben die Jungs ihr persönliches Kochi-Abenteuer: Alleine an Bord bemerken sie plötzlich, dass die Pami bei ablaufendem Wasser mit dem Heck vom Ponton wegdriftet! Die achterliche Landleine hat sich aus unerfindlichen Gründen gelöst und der Abstand zum Steg ist schon zu groß zum springen, als sie es bemerken! Paul flitzt also nach vorne, wo der große Kugelfender hängt und das Schiff fest vertäut ist und kletter über den Fender an Land, während Michel eine neue Landleine klarmacht. Sie belegen die Klampen, sind aber nicht stark genug, das Schiff gegen die Strömung wieder an den Ponton zu ziehen. Also legen sie den Festmacher pfiffig über die nächste Winch und winchen das Boot wieder ran! Gut gemacht Jungs – hätte ihr es nicht erzählt, wir hätten den Unterschied gar nicht bemerkt!

Schließlich ist alles bereit zur Weiterfahrt. Die Vorratsboxen sind randvoll, die Wettervorhersage sieht gut aus und es wird wirklich Zeit, dass wir loskommen um nicht zu späht im Jahr durch Rote Meer zu fahren.

Leider legt uns die indische Immigration noch ein paar Tage lang Steine in den Weg, aber wie wir diese Hürde auch noch nehmen und wie die Passage nach Djibouti verläuft, werde ich in einem nächsten Blog schreiben!

Namaste! 🙏